Unter- und Mittelstufe
In der Unter- und Mittelstufe beschäftigen sich die SchülerInnen im Wesentlichen mit den Gesetzmäßigkeiten der Rechtschreibung und Sprachlehre. Daneben werden sie an Literatur herangeführt, die die Lebensfragen ihrer jeweiligen Entwicklungsstufe berühren. Es sind dies Werke aus verschiedenen Jahrhunderten und Gattungen: vom Jugendbuch über Novellen des 19. Jahrhunderts zu moderner Lyrik; von Parzivals Entwicklung über Fausts Erkenntnisweg zu Homo Fabers Schicksal. Die Rezitation ist, besonders in Unter- und Mittelstufe, ein unverzichtbarer Bestandteil des Unterrichts.
Oberstufe
Der Deutschunterricht in der Oberstufe umfasst jeweils zwei Epochen pro Klassenstufe; zusätzlich gibt es ab der 10. Klasse Übstunden. In den Epochen lesen wir literarische Werke und interpretieren sie, die Übstunden befassen sich mit der Lektüre pragmatischer Texte, mit Stilübungen und mit Grammatik und dienen auch der Vorbereitung auf den Mittleren Schulabschluss (11. Klasse) und auf das Abitur, das in der 13. Klasse abgelegt wird.
Für die verschiedenen Klassenstufen gucke ich jeweils, welche Lektüre passt. In der 9. Klasse habe ich gerade zum ersten Mal statt Orwells „1984“, das wir sonst gelesen haben, einen Jugendroman angeboten: Martin Schäubles „Godland“. In diesem Buch geht es um die Dystopie einer computergenerierten Welt. Ich fand, dass die Schülerinnen und Schüler gut eingestiegen sind; viele haben das Buch sogar mit nach Hause genommen und zu Ende gelesen, was mit Schulstoff selten geschieht. Als zweite Lektüre greife ich schon länger auf das Buch „In die Wildnis“ von Jon Krakauer zurück, das bereits recht literarisch ist. Es ist ein ergreifendes Buch, das vom tatsächlichen Schicksal eines jungen Menschen handelt, der vor seinen Eltern in die Wildnis flieht und dort stirbt. So repräsentiert meine Lektüreauswahl erste (aber es sind doch die allerwichtigsten!) Auseinandersetzungen mit der Welt und mit der eigenen familiären Herkunft.
Mit der 10. Klasse kann man schon Weltliteratur lesen, und wir probieren es spielerisch mit „Dracula“. Dazu kann man auch verschiedene filmische Umsetzungen des bekannten Stoffes ansehen. „Dracula“ kennt jeder, und hier haben wir das Original. Das Buch von Bram Stoker behandelt unter anderem (unbekannter Weise!) das Thema der Emanzipation junger Frauen sowie auch den Umgang mit der nicht-menschlichen Natur, vor allem thematisiert es auch psychologische Aspekte wie Angst oder das Unbewusste – eine sehr vielschichtige Lektüre. Als zweite Lektüre haben wir manchmal „Homo Faber“ gelesen, auch schon „Das Leben der Ulrike Meinhof“ von Alois Prinz, ich habe gelegentlich „Siddhartha“ angeboten oder „Demian“. Ich möchte gerne einmal „Narziss und Goldmund“ lesen, das hatte ich noch nicht. Man darf auch nicht unterschätzen, wie wichtig es ist, dass der Lehrer die Lektüren mag. Denn aus seiner Sympathie speist sich die Identifikation der Schülerinnen und Schüler. Ein Schüler hat mir gerade „Sophies Welt“ vorgeschlagen, und das finde ich auch eine gute Idee.
In der 10. Klasse findet auch das Fach Poetik statt. Es könnte auch an den Eurythmie-Unterricht angeschlossen sein, denn es geht hier darum, eigene Ausdrucksformen zu entwickeln. Vorbild sind bei mir immer bekannte Gedichte wie Rilkes „Herbsttag“ oder Hesses „Stufen“, wir lesen auch mittelhochdeutsch im „Merseburger Zauberspruch“, Barockgedichte von Gryphius stehen auf dem Plan, natürlich Ingeborg Bachmann (wir diskutieren darüber, ob es ein weibliches Schreiben gibt, was die Schülerinnen sehr kontrovers anspricht) und Paul Celan (Metapher), wir lernen Expressionismus und Dadaismus kennen und vergleichen die literarische Ausdrucksreduktion mit Malerei, Skulptur und Architektur. Eine sehr produktive Epoche! Die interessantesten Texte der Schülerinnen und Schüler sammle ich immer für unser Jahrbuch.
Die 11. Klasse steht im Zeichen der ernsthaften Textinterpretation, und wir lesen Kafka. Schülerinnen und Schüler empfinden die Texte als schwer, es ist eine Herausforderung, weil man auf den ersten Blick wenig versteht. Ich biete biographische, psychologische und soziologische Hintergründe an. Als Entspannung eher lese ich nachher oft Umberto Ecos „Name der Rose“, das aber auch stark in die Philosophie einführt. Hier können wir die deduktive Methode von Platon im Unterschied zur induktiven des Aristoteles kennen lernen oder auch ein kritisches Verhältnis zur Religion entwickeln. – Die Übstunden bereiten den Mittleren Schulabschluss vor: Dass-Sätze, Relativsätze, Adverbialsätze, Infinitivgruppen – das alles wird von Schülern nicht geliebt, muss aber am Ende sitzen und tut es auch. Dazu üben wir regelgerechte Argumentationen ein, denn darauf beruht ja nach wie vor unsere erhaltenswerte Demokratie.
Die 12. Klasse brütet unabdingbar über Goethes „Faust“. Ich liebe „Faust“ und stelle Goethes Biographie breit dar. Die Verssprache wird als schwierig empfunden, aber wir kämpfen uns durch. Wir lernen sprachliche Mittel kennen und wiederholen verschiedene Metren. Was war noch mal ein Jambus, und warum schreibt Goethe so? Manchmal kommen wir in den „Faust II“ hinein und wundern uns über die Mischung von mythischer Szenerie und moderner Welt, die Goethe dort ineinander webt. Oft lese ich als zweite Lektüre Thomas Manns „Zauberberg“, mein Lieblingsbuch, und wir rätseln über das Wesen der Zeit. – Sie merken schon, ich bin Bücherfan, bei mir zu Hause steht alles voller Bücher, und als Schüler schon gab es für mich nichts Schöneres, „als in einer Ecke zu sitzen und zu lesen“, wie Umberto Eco im „Namen der Rose“ schreibt. Wir tauchen in andere Welten ein, und wir kommen verwandelt wieder aus ihnen hervor.
Carsten Feldmann